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Drei Fragen an Ariane Désirée Kari zum Stand des Tierschutzes in Deutschland

23. September 2024

Ariane Désirée Kari ist die erste Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung. In unserem Format „Drei Fragen an“ ordnet sie die anstehende Novellierung des Tierschutzgesetzes aus ihrer Sicht ein und blickt auf notwendige Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Tierschutzes.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand vom Tierschutz in Deutschland?
Bei einem schnellen Blick ist Deutschland in Sachen Tierschutz auf dem Papier recht weit vorne. So haben wir ein Tierschutzgesetz, das im Gegensatz zu anderen Ländern auch landwirtschaftlich genutzte Tiere vollumfänglich schützt. Darüber hinaus ist Tierschutz hierzulande sogar ein Rechtsgut mit Verfassungsrang, also im Grundgesetz verankert.

Wenn man genauer hinschaut, wird aber deutlich, dass das Tierschutzgesetz dringend überarbeitet werden muss.

Das sieht man beispielsweise daran, dass landwirtschaftlich genutzte Tiere weiterhin stark durch Amputationen an Haltungssysteme angepasst werden, weil es im Gesetz zu viele Ausnahmen vom Amputationsverbot gibt.

Auch fehlt es an tierschutzkonformen, rechtlich verankerten Mindestanforderungen für die Haltung, Betäubung und Tötung von landwirtschaftlich genutzten Tieren. So verbringen zum Beispiel Schweine ihr Leben in Ställen oft auf harten, unbequemen Betonvollspaltböden, in denen sie ihre Toilette nicht richtig von ihrem Schlafplatz trennen können und in denen ihnen kaum Beschäftigungsmaterial angeboten wird. Dabei ist die Sauberkeit im Stall sowie das Wühlen und Suhlen für die reinlichen und klugen Tiere extrem wichtig.

Darüber hinaus sind tage- und sogar wochenlange Tiertransporte in Deutschland und aus Deutschland heraus nach wie vor an der Tagesordnung. Dabei leiden die Tiere auf den Transportwegen unter einem mangelhaften Zugang zu Futter, Wasser, Bewegung und medizinischer Versorgung. Auch werden sie nicht selten in solche Drittstaaten exportiert, in denen so gut wie gar keine Tierschutzstandards herrschen und in denen sie oft bei vollem Bewusstsein geschlachtet werden.

Aber nicht nur in der landwirtschaftlichen Tierhaltung herrschen zahlreiche Missstände. Im Heimtierbereich kämpfen wir unter anderem mit einer explodierenden Straßenkatzenpopulation, überfüllten Tierheimen und dem illegalen Handel mit Heimtieren.

Der Blick in die Realität zeigt also: Den Tieren in Deutschland geht es alles andere als gut. Deshalb ist die derzeit stattfindende Überarbeitung des Tierschutzgesetzes auch so wichtig.

Blicken wir auf die geplante Novellierung des Tierschutzgesetzes: Das darin vorgesehene Auslaufen der Anbindehaltung nach einer Übergangsfrist von zehn Jahren beschäftigt derzeit viele kleinere landwirtschaftliche Betriebe, insbesondere in Süddeutschland. Wie beurteilen Sie das Auslaufen der Anbindehaltung und die damit verbundenen Herausforderungen für milcherzeugende Betriebe?

Selbstverständlich sehe ich, dass das Ende der Anbindehaltung gerade kleinere landwirtschaftliche Betriebe in Süddeutschland vor enorme Herausforderungen stellt. Wer nur verhältnismäßig wenige Rinder im Stall stehen hat, tut sich schwer, viel Geld in Umbauten zu investieren. Ich plädiere daher in meinen Gesprächen mit Entscheidungsträger:innen für umfangreiche staatliche Umbauhilfen gerade für diese Kleinstbetriebe. Auch ist mir ein rechtlich verankertes Prüf- und Zulassungssystem für Haltungssysteme ein großes Anliegen, um Planungs- wie Rechtssicherheit für Tierhaltende zu generieren.

Andererseits muss aber auch ganz klar gesagt werden: Die Anbindehaltung verstößt schon heute gegen geltendes Tierschutzrecht. Das haben zahlreiche aktuelle verwaltungsgerichtliche Urteile bestätigt.

Sowohl die ganzjährige als auch die saisonale Anbindehaltung in den Wintermonaten schränkt nicht nur das Laufbedürfnis von Rindern enorm ein. Beide Haltungsformen machen auch eine Vielzahl an natürlichem Sozial-, Ruhe-, Erkundungs- sowie Eigenkörperpflegeverhalten unmöglich. Sie reduzieren das Leben der Tiere auf Fressen, Trinken, Koten, Urinieren, Stehen und Liegen – auf einem Platz so groß wie ein Billardtisch! Dass dies in keinem Fall mit einer nur annähernd tierschutzgerechten Tierhaltung gleichgesetzt werden kann, liegt auf der Hand.

Dies bestätigte im vergangenen Jahr übrigens die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA in einem Gutachten und empfahl den Ausstieg aus dieser Haltungsform. Und: Auch der Bayerische Bauernverband bezeichnete die Anbindehaltung schon im Jahr 2017 – also vor sieben Jahren – als „Auslaufmodell“.

Die REWE Group engagiert sich in zahlreichen Initiativen für mehr Tierwohl. So haben wir als erster Lebensmitteleinzelhändler das gesamte Schaleneier-Sortiment unserer Eigenmarken in allen Haltungsformen auf Eier „ohne Kükentöten“ umgestellt. Welche Rolle schreiben Sie dem Lebensmitteleinzelhandel bei Tierschutz zu?

Der Lebensmitteleinzelhandel spielt eine ganz wesentliche Rolle beim gesamtgesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Tierschutz. Ein Beispiel dafür ist die von Tierschutzorganisationen ins Leben gerufene Masthuhn-Initiative. Hier engagieren sich unter anderem Lebensmitteleinzelhändler, indem sie sich freiwillig dazu verpflichten, Tierschutzstandards in der Haltung von Masthühnern über das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß hinaus zu erhöhen. Das ist insbesondere deshalb von enormer Bedeutung, weil in Deutschland mehr als 600 Millionen Masthühner pro Jahr gemästet und geschlachtet werden. Trotzdem gibt es nur sehr unzureichende Mindeststandards in der Geflügelhaltung.
Und selbstverständlich macht ein solches Engagement für mehr Tierschutz auch aus ökonomischen Gründen für den Einzelhandel Sinn. So ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch und Kuhmilch in Deutschland seit Jahren rückläufig. Ein wesentlicher Grund dafür ist laut zahlreichen Umfragen, dass Menschen ihren Konsum tierischer Produkte sowohl reduzieren als auch bewusster gestalten. Ich begrüße es sehr, wenn dieses geänderte Verbraucherverhalten von Lebensmitteleinzelhändlern als Ansporn dafür gesehen wird, dem Schutz unserer tierischen Mitgeschöpfe einen höheren Stellenwert in der eigenen Firmenpolitik einzuräumen. Meines Erachtens nach, liegt hier ein enormes – derzeit oft noch ungenutztes – Potenzial.

Ariane Désirée Kari ist Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung.